Schiffssteuerung

Oder: Die unendliche Geschichte...

Seit dem Bau des Skandinavien-Abschnittes im Jahr 2004 befindet sich ein 30.000 Liter fassendes Echtwasserbecken auf unserer Anlage. In dieser Rubrik dreht sich alles um das große Ziel eines computergesteuerten Schiffsverkehrs.

Wäre es einfach, wäre es nicht Wunderland

Die bisher größte technische Herausforderung im Miniatur Wunderland ist die Entwicklung einer Schiffssteuerung. Ziel war und ist es ein System zu entwickeln, das mehrere Schiffe gleichzeitig und komplett eigenständig durch die Wunderländer Meere steuert. So wäre neben den bisher gefahrenen Routen zum Beispiel auch ein Fährbetrieb zwischen kleineren Anlegern möglich.

Schon vor Beginn dieses Projektes, im Jahr 2004, waren sich alle gefragten Experten einig, dass dieses Vorhaben beinahe unmöglich ist. Und ganz unrecht hatten sie damit nicht, denn das Team rund um Chefentwickler Gerrit Braun glaubte schon mehrmals kurz vor dem Ziel zu stehen – jedoch stellten sich ihnen in den vergangenen Jahren immer neue Probleme in den Weg. Aber davon lässt sich hier im Wunderland natürlich niemand abschrecken und so hat sich das „Problemkind Schiffssteuerung“ über die Jahre stetig weiterentwickelt. Und wie das genau aussieht? Lesen sie selbst!

Orten und kalibrieren

Für die Ortung der Schiffe wurden bisher 16 Highspeed-Infrarotkameras an der Decke des Skandinavien-Abschnittes befestigt. Zwölf Kameras überblicken die große Wasserfläche von der Ölbohrinsel und dem Arbeitsplatz des Kapitäns bis hin zur Auto-Verladung nahe des Liegeplatzes der „Cap San Diego“. Vier weitere Kameras befinden sich im unteren Schattenhafen. Jede der Kameras nimmt rund 60 Bilder pro Sekunde auf und ist mit einem speziellen Filter versehen, der Störeffekte wie z.B. das Deckenlicht und dessen Reflexionen auf der Wasserfläche weitgehend ausblendet.

Die Schiffe werden mit jeweils vier Infrarot-LEDs ausgestattet. Jedes Schiff hat für das Software-System eine eindeutige Kennung. Ein zentraler Funk-Sender sendet im Abstand von Mikrosekunden Impulse, die von den LEDs, sofern sie sich aufgrund ihrer Kennung angesprochen fühlen, mit einem kurzen Blinken beantwortet werden. Bildlich gesprochen ruft die Software also jeweils ein konkretes Schiff aus und dessen LEDs antworten dann – und das alles innerhalb von Mikrosekunden. Damit ist sichergestellt, dass stets nur ein Schiff leuchtet. So können die Schiffe auseinander gehalten und ihre aktuelle Ausrichtung ermittelt werden.

Ein Verbund von insgesamt acht Servern wertet diese Bilddaten – rund 1 Milliarde Bildpunkte pro Sekunde – unmittelbar aus und errechnet daraus knapp 60 Ortungen pro Sekunde. Diese Ortungen beinhalten nicht nur die Position (X-, Y- und Z-Achse), sondern auch den Dreh-, Roll- und Neigewinkel des Schiffes. Der Drehwinkel bezeichnet dabei die Ausrichtung des Schiffes auf dem Wasser, der Rollwinkel ein etwaiges Kippen nach links (Backbord) oder rechts (Steuerbord) und der Neigewinkel beschreibt, wie weit sich Bug oder Heck im oder gar unter Wasser befinden. (Die „Titanic“ beispielsweise hatte zum Schluss einen sehr steilen Neigewinkel, als deren Bug vollständig unter Wasser war und ihr Heck gen Himmel ragte.)

Für die Ortung ist es erforderlich, das Software-System zu kalibrieren. Bei diesem Vorgang „lernt“ die Software die Positionen der Kameras zueinander und baut die Datenbasis auf, um später Winkel und Entfernungen der Schiffe ermitteln zu können. Diese Kalibrierung erfolgt mit Hilfe eines präzise vermessenen Kalibrierstabes. Dieser wird über die gesamte Wasserfläche geführt und dabei den Kameras aus möglichst vielen unterschiedlichen Perspektiven präsentiert. Da der Software die exakten Maße des Kalibrierstabes bekannt sind, kann diese die Entfernungen und Winkel ermitteln. Die Kalibrierung benötigt rund zwei Stunden. Das in der Software hinterlegte Berechnungssystem setzt absolut fixe Positionen der Kameras voraus – schon die Art und Weise, in der unser Gebäude aufgrund der Jahreszeiten und ihrer unterschiedlichen Temperaturen arbeitet, kann zu Abweichungen führen. Vorläufig gehen wir davon aus, das System alle sechs bis neun Monate neu kalibrieren zu müssen. Die von den Servern errechneten Ortungen werden von der von Gerrit geschriebenen Fahrzeugsteuerung konsumiert und dort in einen Gesamtkontext gebracht. Im Rahmen der Software erfolgen dann beispielsweise Routen-Planung oder etwa Kollisions-Erkennung.

Der aktuelle Stand der Dinge

Aktuell (Ende Februar 2018) haben wir den Zustand einer stabilen Ortung auf der gesamten Wasserfläche – inklusive Schattenhafen – erreicht. Das Testschiff „Jenna“ ist mit vier LEDs bestückt, ebenso das Kreuzfahrtschiff „AIDA“ und der Container-Riese „Pacific“. Nun geht es nach und nach ans Umrüsten der weiteren Schiffe. Das bedeutet, dass LEDs an den Schiffen befestigt werden müssen. Hierbei müssen wir auf die individuelle Beschaffenheit jedes Schiffes eingehen – einerseits sollen die LEDs und die notwendigen Kabel quasi „unsichtbar“ für den Besucher sein, andererseits müssen die LEDs an so exponierten Stellen befestigt werden, sodass die Kameras einen guten Blick haben und die LEDs nicht etwa durch die Aufbauten eines Schiffes verdeckt werden.

Für den Abschluss dieser Arbeiten kann noch kein exaktes Zeitfenster angegeben werden, da wir uns vorläufig an den regulären Wartungsintervallen der Schiffe orientieren und eine Umrüstung erst dann erfolgt, wenn das Schiff ohnehin gerade in der Werkstatt ist. Zudem haben wir mittlerweile eine stabile Funkverbindung vom PC an die Schiffe. Dieser Schritt war wichtig, um die bisher im Einsatz befindlichen Funk-Fernsteuerungen ablösen zu können. Die Schiffe können nun über einen an den PC angeschlossenen Game-Controller gesteuert werden. Es sitzt zwar immer noch ein Mensch am Controller und gibt die Steuerbefehle, die Kommunikation erfolgt jedoch komplett über unsere Fahrzeugsteuerung, sodass wir nun dort ansetzen können, um die Algorithmen zur Steuerung der Schiffe zu vervollständigen.

Alle Schiffe in der Übersicht

Und wie geht’s weiter?

Nach Aufbau einer stabilen Infrastruktur sind wir nun in der Phase der Realisierung einer autonomen Steuerung durch die Software. Gerrit hat hier schon viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit geleistet, der Software-Stand muss jedoch an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Voraussichtlich wird die erste Software-Version lediglich das Navigieren auf See, also die Fahrt über die großen Strecken unterstützen und die filigranen Anlege-Manöver weiterhin auf den Kapitän übertragen. Sobald wir die jetzige Wasserfläche im Griff haben, ist eine Erweiterung des Systems um den Weg durch den Kanal und die Schleuse hin zum zweiten Schattenhafen vorgesehen.

Systemskizze

Zu guter Letzt noch ein Screenshoot der Schiffssteuerung im Bereich der Schleuse (links). Zu sehen sind die berechneten Schiffsfahrwege (rote Punktelinie) auf den vorkonfigurierten Fahrwegen (gelbe Pfeile). Innerhalb der Schleuse sind die Liegepositionen zu erkennen (gelb = belegt, grün = frei). Rote virtuelle Bojen dienen als Anker für die Fahrwegs-Abschnitte. Und die blauen virtuellen Bojen markieren die möglichen Ausweich-Positionen bei Gegenverkehr.